Was haben ich da vor ein paar Tagen auf einer meiner Lieblings-Nachrichtenseiten gelesen: EU setzt sich für Barrierefreiheit ein!
‚Wird ja langsam Zeit!‘, dachte ich da so bei mir, schließlich gilt bereits seit 2002 ein entsprechendes Gesetz für die Bundesministerien und untergeordnete Behörden. Das sowas in Brüssel immer ein wenig länger dauert (über 6 Jahre im Vergleich zu Deutschland und mind. 9 Jahre im Vergleich zu den USA), daran hatte ich mich schon gewöhnt. Schließlich hat man ja auch erst nach einigen Jahren in Brüssel gemerkt, dass die Mobilfunkunternehmen voll den Reihbach bei Telefonaten im Ausland machen.
Was dann aber aus dem Munde von Viviane Reding – ihres Zeichens EU-Kommissarin für Informationsgesellschaft und Medien – zu lesen war, verschlug mir einfach die Sprache! Hier das entsprechende Zitat:
Häufig reichten schon einfache Maßnahmen wie etwa eine größere Schrift, die Bereitstellung von Texten auf einer Seite als Audiodatei oder die Navigation per Tastatur aus, um Nutzern den Zugang zu Internetseiten zu ermöglichen.
Fehlerquote: 66 Prozent
„Eine größere Schrift“ ist zwar als Ausgangsbasis gar nicht so schlecht, sind doch nach wie vor viele Internetseiten mit einer so kleinen Schrift versehen, dass man selbst als Fliegerass seine Probleme damit haben kann. Aber „eine größere Schrift“ ist sicherlich nicht ausreichend!
Es sollte schon eine skalierbare Schrift sein, so dass der Sehbehinderte mit seinem Vergrößerungssystem und der ältere Mensch mit Brille die für sie notwendige Schriftgröße einstellen können.
Wenn dann auch noch das Layout mitmacht und es bei vergrößerter Schrift nicht gleich zu Überlappungen oder der Notwendigkeit des zeilenweisen horizontalen Scrollens kommt, dann hat man wieder einen Punkt auf der Liste der Dinge, die Barrierefreiheit im Internet ausmachen, erfüllt.
Die Bereitstellung von Texten als Audiodatei ist sicherlich ein nettes Feature, mit Barrierefreiheit hat diese Maßnahme allerdings nur bedingt etwas zu tun: Blinde oder stark Sehbehinderte setzen Systeme ein, die ihnen die Inhalte einer Internetseite vollständig vorlesen können; zudem besitzen sie inzwischen sehr viele Komfortfunktionen für die Navigation auf entsprechend strukturierten Seiten, die weit über das reine Audioangebot einzelner Text hinaus gehen.
Wenigstens mit dem Punkt Tastaturnavigation hat sie ins Schwarze getroffen: eine Internetseite, welche teilweise oder ausschließlich per Maus genutzt werden kann, kann sich nicht barrierefrei nennen. Viele sog. „Poweruser“ nutzen sehr häufig die Tastatur, insbesondere sog. „Shortcuts“, da sich damit wesentlich schnell arbeiten / navigieren läßt!
Fassen wir also zusammen: Von 3 Aussagen, waren 2 falsch, macht eine Fehlerquote von 2/3 oder 66%. Damit bekommt man in der Schule bestenfalls eine 5. Ich meine: Da müssen wir doch noch ein wenig dazulernen, Frau Reding!
Nachtrag / Korrektur
Wer die zugehörige Pressemitteilung von Frau Reding genau liest, wird feststellen, dass Frau Reding viel mehr Ahnung von der Materie hat als es uns die IT-News für Profis [häääh?] weismachen wollen: Sie spricht korrekterweis von der
- Vergrößerung der von den Browsern genutzten Schriftgröße,
- Bereitstellung gesprochener Bildschirmtexte mit Hilfe unterstützender Software
- sowie Internetnavigation mit Hilfe der Tastatur statt mit der Maus.
Gut gemacht!, Frau Reding und Pfui! Golem, weil ihr so sinnentstellend zitiert habt!